Wie uns die ersten Lebensjahre prägen - Teil 2 - womenbiz

Wie uns die ersten Lebensjahre prägen – Teil 2

Veröffentlicht am 4. Juli 2023

Autorin: Barbara Liechti

Der erste Teil dieser dreiteiligen Blog-Serie hat sich intensiv mit deinem eigenen Wert auseinandergesetzt und dass du diejenige bist, die diesen bestimmt. Denn um ein Selbstwertgefühl zu entwickeln benötigt es Selbstreflexion, das Streben nach persönlichem Wachstum und die Entwicklung eines gesunden Selbst.

In diesem Teil werden wir uns mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen. Hierbei geht es darum dich und dein inneres Kind besser zu verstehen und wozu du dir bestimmte Überzeugungen und Verhaltensweisen angeeignet hast.

Wertvoll als Mensch

Sich selbst klar werden, was wichtig ist.

Frau B. hat eine Schwester und hatte frühzeitig grosse Verantwortung zu übernehmen. Ihre Eltern besassen ein kleines KMU, das viel Aufmerksamkeit und Zeit fernab der Familie erforderte. Dadurch blieb wenig Zeit für die Familie und insbesondere für Frau B. und ihre Schwester. 

Infolgedessen musste Frau B. von klein auf lernen, für andere da zu sein und ihre eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen. So wurde es für Frau B. normal, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht wichtig zu machen, um vielmehr den Anforderungen und Bedürfnissen der Eltern und der Schwester gerecht zu werden.

Ausgehend der Erlebnisse in ihrer Kindheit hat Frau B. gelernt, dass es einfacher und konfliktärmer ist, die Erwartungen anderer zu erfüllen, anstatt ihre eigenen Bedürfnisse zu betonen. Weiter hat Frau B. gelernt, dass, wenn sie versucht hat, ihre eigenen Bedürfnisse als wichtig zu erachten, es zu Konflikten und Widerstand führte.

Als Ergebnis dieser Erfahrungen hat Frau B. den fest verankerten Glauben entwickelt, dass ihre Bedürfnisse und Wünsche weniger wichtig sind als jene anderer, dass sie selbst weniger wert ist als die anderen.

Als logische Folge davon lebte Frau B. ihre Überzeugung, die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen stellen zu müssen, auch in ihrer Ehe aus. Sie kümmerte sich immer darum, dass ihr Mann in seiner Arbeit und seinen Hobbies frei und unbeschwert wirken konnte. Auch für ihre Kinder gab sie alles und hat sich um deren Bedürfnisse gekümmert; sei es das Fahren zur Schule, zu sportlichen Aktivitäten oder zu Freunden. Sie war sogar bereit, mitten in der Nacht aufzustehen, um die Kinder abzuholen, wenn kein Bus mehr fuhr. Frau B. managte alles, ausser ihren eigenen Bedürfnissen.

Es ist bewundernswert, dass Frau B. sich so engagiert um ihre Familie gekümmert hat.

Wertvolle Werdens Geschichte

Erforsche deine Werdens Geschichte und reflektiere deine Grundüberzeugungen. Das Bewusstwerden und die Reflektion deiner Vergangenheit und die damit verbundenen Erinnerungen können sowohl ermutigende als auch schmerzhafte Gefühle auslösen. Indem du dich jedoch mit deiner eigenen Geschichte auseinandersetzt, kannst du besser verstehen, wozu du dir bestimmte Überzeugungen und Verhaltensweisen angeeignet hast. Wir Menschen handeln immer zielorientiert im Sinne, dass wir dadurch unsere unbewussten Grundüberzeugungen bestätigen müssen.

Es ist auch wichtig zu erkennen, dass du die Fähigkeit hast, dich immer wieder neu zu entscheiden und deine Sichtweise zu ändern. Deine Überzeugungen und Werte können sich im Lauf der Zeit verändern, basierend auf neuen Erfahrungen, Lernen und Wachstum. Diese Flexibilität eröffnet dir die Möglichkeit, dich selbst weiterzuentwickeln und alternative Perspektiven zu erkunden.

Diese Verheissung der persönlichen Entwicklung kann helfen, eine tiefere Verbindung zu dir selbst und anderen aufzubauen.

Zauberspruch:
«Wenn ich wissen will, was ich will, muss ich schauen, was ich tue und was das Resultat davon ist». 

Sich auf die eigenen Werte konzentrieren

Immer diese Fragen!

Wieso passiert mir das? Wieso habe ich nichts bemerkt? Was habe ich falsch gemacht? Wie soll es weiter gehen? Warum?

Wenn wir anstelle des Wieso/ Warum das Wozu setzen, beginnen wir den Zweck des Verhaltens zu erkennen. Was willst du mit deinem Verhalten erreichen/ bestätigen?

Was macht dich aus? Was kannst du gut? Womit kannst du dich begeistern? Wo engagierst du dich? Welche Attribute zeichnen dich aus? All dies einmal zu Papier zu bringen, birgt ein immenses Potential an Selbstermutigung.

Doch, woher kommen nun deine Werte? Woher weisst du, was dir wichtig ist, was dich ausmacht? Es sind die Erfahrungen, die du während deiner ersten Lebensjahre mit/ in deinem primären Umfeld – Familie – gemacht hast. Du selbst hast deinen Charakter aus diesem Fundus heraus gestaltet. Jeder Mensch formt seinen Charakter auf Grundlage seiner persönlichen Erfahrungen und des Einflusses seines primären und später sekundären Umfelds.

Bei der Geburt hat jeder Mensch enorm viel Potenzial zur Verfügung. Bei optimaler Entwicklung könnte das ganze Potenzial zur Entfaltung gebracht werden… käme da nicht etwas dazwischen… nennen wir es Erziehung. Wir werden «genormt», entsprechend wie es die Gesellschaft vorgibt.

Um einen Menschen verstehen zu können, ist es ungemein wichtig zu wissen, wo und wie er aufgewachsen, in welchem Umfeld er gross geworden ist.

Die ersten sozialen Beziehungen in der Ursprungsfamilie mit Eltern, Geschwister, Grosseltern sind lebensprägend. Jedes Kind zieht aus all seinen Erfahrungen seine privaten, logischen Schlüsse und generalisiert sie – d.h. das Kind kann bis zum ca. 6. Lebensjahr nicht auf wahr/ unwahr, logisch/ unlogisch etc. überprüfen. Alles, was das Kleinkind wiederholt erlebt, sieht, hört wird als Fakt abgespeichert.

Frau B. hat in ihrer Kindheit durch das Verhalten ihrer Eltern eine bestimmte Vorstellung davon entwickelt, wie eine Beziehung funktionieren soll. Sie bekam quasi den Prototypen «Beziehung» vorgelebt. So war die Rollenverteilung gegeben. Die Mutter kümmerte sich stets um die Bedürfnisse der Familie und war immer hilfsbereit, sozial, tolerant und arbeitsam. Dies hat bei Frau B. die Grundüberzeugung wachsen lassen, dass Frauen immer für andere und nie für sich selbst da sein müssen.

Frau B. lebt unbewusst die gleichen Muster wie sie durch ihre Mutter vorgelebt wurden. Solange die Beziehung reibungslos verlief, stellte Frau B. ihre eigenen Bedürfnisse auch nie in Frage; es passte ja. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Muster und Überzeugungen, die wir uns als Kleinkinder schöpferisch gestaltet haben im Erwachsenenleben nicht immer gesund oder hilfreich sind. So hat Frau B. erst in dem Moment, in dem ihre Beziehung auf die Probe gestellt wurde, angefangen zu hinterfragen, ob sie ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigt hat – und ja – ob sie ihre eigenen Bedürfnisse überhaupt kennt.

Die Macht des inneren Kindes

Das innere Kind repräsentiert unsere frühkindlichen Erfahrungen (0 – 6 Jahre), Emotionen und Grundüberzeugungen, die in uns als erwachsener Mensch als Autoprogramm «weiterleben». Sie zeigen sich dann, wenn das Leben schwieriger wird, wenn die bisher angewandten Strategien versagen. Gerade dann ist es wichtig, liebevoll mit dem inneren Kind umzugehen, ihm zuzuhören, zu erkunden, welches Bedürfnis gerade bedient werden will und sich vor allem auch Verständnis zu schenken.

Frau B. lernte, ihr inneres Kind an die Hand zu nehmen, Mitgefühl und Fürsorge für sich selbst zu erlernen. Auch das Erkennen von Ängsten und Sorgen, die das innere Kind verunsichern und Frau B. als erwachsene Frau unbewusst steuerten, konnten erkannt werden. Auf diese Weise konnte Frau B. ihr inneres Kind beruhigen und ihm Sicherheit und Vertrauen schenken. Dadurch stärkte sie ihr Selbstvertrauen und ihre Fähigkeit, mit Unsicherheiten und Veränderungen auf eine neue Weise umzugehen.

Frau B. lernte ihrem inneren Kind, dass es ok ist, Fehler zu machen, Misserfolge zu verbuchen. Sie sind Teil des Lebens und unsere grössten Lehrmeister. Es ist wichtig dem inneren Kind glaubhaft mitzuteilen, dass sie beide – Erwachsene und das innere Kind – bereit sind, neue Dinge zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Dadurch entsteht die Zuversicht, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen und dass es immer Möglichkeiten gibt.

Die Arbeit mit dem inneren Kind war für Frau B. eine transformative und heilende Erfahrung und hat ihr erlaubt, alte Wunden zu schliessen, Vertrauen in sich selbst aufzubauen und sich positiv auf Veränderungen einzulassen.

Standortbestimmung

Situationen wie die, die Frau B. gerade erlebt, können äusserst wertvoll sein, um eine Standortbestimmung vorzunehmen und neue Ziele zu setzen. Oft ist es jedoch nicht sofort möglich, diesen Prozess zu durchlaufen.

Die 4 Phasen der Trauer resp. Trennung

Frau B. befindet sich noch in der ersten Phase, dem Nicht-Wahrhaben-Wollen. Zunächst müssen die Gedanken und Gefühle sortiert werden und es ist wichtig, die innere Ruhe wiederzufinden.

In dieser Phase sollen Gefühle wie Wut, Enttäuschung, Verzweiflung, Einsamkeit ja sogar körperliche Reaktionen ihren Platz haben. Gefühle wollen gelebt werden. Wenn wir dies nicht tun, fordert dies irgendwann seinen Tribut.

Dann langsam kommt die zweite Phase; es zeichnen sich am Horizont neue Lösungen ab, ein neu gefundenes Selbstwertgefühl wird spürbar. Hier wird auch deutlich, wie wichtig tragende Freundschaften sind. Und, in dieser Phase können ebenfalls alte Wunden bearbeitet werden und heilen.

In der dritten Phase kommt das Vertrauen zurück. Das Vertrauen zu sich selbst, sowie auch zu anderen. Wir können wieder Gefühle und Nähe zulassen. Zudem übernehmen wir wieder gerne Verantwortung.

Eines der wohl höchsten Gefühle ist zu verstehen, dass jetzt, nach all den Höhen und Tiefen eine neue Freiheit gewonnen ist. 

Für Frau B. ist es von grosser Wichtigkeit, sich aktiv mit der Frage auseinanderzusetzen, wohin ihr Weg künftig führen soll und welche Ziele sie in den Fokus rücken möchte. Auch dieser Prozess erfordert Zeit und Reflexion, um herauszufinden, was ihr wirklich wichtig ist und welche Schritte unternommen werden können, um eben diese Ziele zu erreichen.

Für die Standortbestimmung und Zielsetzung bedienen wir uns verschiedener Ansätze:

  • Was sind die Werte und Überzeugungen von Frau B.? Welche Ziele passen zu ihren Werten?
  • Was sind die Stärken und Fähigkeiten von Frau B.? Wie können diese in ihre Ziele mit einfliessen?
  • Welche Bereiche von Frau B’s Leben möchte sie verbessern? Welche Ziele können wir in diesen Bereichen einsetzen?
  • Welche Bereiche von Frau B’s Leben sind so, wie sie sind, gut? Was genau ist gut?
  • Welche kurzfristen und langfristigen Ziele möchte Frau B. erreichen?
  • Wie sieht Frau B’s ideales Leben aus? Welche Schritte kann resp. will sie unternehmen, um diesem Ideal Stück für Stück näher zu kommen?

Letztendlich ist es wichtig Frau B. mit auf den Weg zu geben, dass Ziele und Prioritäten im Laufe der Zeit veränderbar sind. Nichts ist in Stein gemeisselt und es ist eine kontinuierliche Aufgabe, dass sich Frau B. auch nach unserer Beratungszeit aktiv mit sich selbst auseinandersetzt, anpasst und immer wieder sicherstellt, dass sie mit ihren Werten und Bedürfnissen in Einklang steht.

Strategien im Umgang mit schwierigen Situationen

Der Vertrauensbruch, den Frau B. erlebt, ist äusserst schmerzhaft und führt zu einer tiefgreifenden Veränderung in ihrem Leben. Das SelbstWertGefühl ist in dieser Phase sehr fragil und es ist normal, dass Frau B. mit einer Vielzahl von Emotionen konfrontiert ist, wie Verwirrung, Wut, Traurigkeit, Verletzung, Enttäuschung. Der Umgang mit solch schwierigen, lebensverändernden Phasen erfordert Zeit, Selbstreflexion und Unterstützung.

Es ist wichtig zu verstehen, dass bei allem was geschehen ist es nicht darum geht Schuld zuzuweisen. Es ist wichtig zu verstehen, dass jeder und jede für sein Verhalten selbst verantwortlich ist. Fakt ist jedoch auch, dass stets beide Partner ihren Anteil am Ge- oder Misslingen einer Beziehung beitragen – bewusst als auch unbewusst.

Schritte, die helfen können, mit einem Vertrauensbruch umzugehen:

  • Erlaube dir zu fühlen. Es ist normal, dass die Vielzahl von Emotionen dich gerade überfluten. Schliesslich durchläufst du Wut, Trauer, Verwirrung und Angst. Erlaube dir unbedingt, all diese Gefühle zu haben und nimm diese an, anstatt sie zu unterdrücken oder zu verleugnen.
  • Nimm dir Zeit für dich selbst. In dieser Phase ist es wichtig, auf deine eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu achten. Nimm dir Zeit, um zur Ruhe zu kommen, dich zu regenerieren und dich selbst wiederzuentdecken. Das kann bedeuten, dass du dich auf Selbstfürsorgeaktivitäten wie Meditation, Sport, kreatives Schreiben, Malen, Zeit mit Freunden etc. fokussierst.
  • Suche dir Unterstützung. Spreche mit vertrauten Personen über das, was gerade passiert. Es kann auch professionelle Unterstützung sein, da diese neutral ist und somit «auf keiner Seite steht». Das «von der Seele reden» hilft dem Unterbewusstsein bei der Verarbeitung des Erlebten, hilft dir dabei, deine Gefühle sortieren und verarbeiten zu können und – mit der Zeit – neue Perspektiven zuzulassen.
  • Sei mit dir selbst geduldig. Vertrauensbrüche erfordern Zeit, um verdaut zu werden. Es ist wichtig, dass du dir selbst erlaubst, diesen Prozess durchzumachen und keine überstürzten Entscheidungen triffst. Gib dir Zeit, um die Situation zu Reflektieren und deine eigenen Bedürfnisse (erstmals) zu verstehen.

Wichtig zu bedenken ist, dass jeder Mensch unterschiedlich auf lebensverändernde Situationen reagiert. Es gibt kein Patentrezept. Was für die eine Person hilfreich sein kann, funktioniert möglicherweise nicht für eine andere Person. Daher ist es wichtig, den Weg zu finden, der für dich passt.

Nimm dir die Zeit, die du benötigst, um dich zu heilen und in deine eigenen Antworten zu kommen. Vertrauen kann mit der Zeit wieder aufgebaut werden. Doch es erfordert Arbeit von beiden Parteien. Letztendlich liegt es an dir zu entscheiden, wie es weitergehen soll.

Die gesunde Beziehung

Eine gesunde Beziehung sollte auf Gleichwertigkeit, Verbindlichkeit und Zuneigung beruhen. Es ist unabdingbar, dass beide Partner ihre eigenen Bedürfnisse kennen und diese ausleben können, während sie gleichzeitig auf die Bedürfnisse des anderen eingehen. Kommunikation, Kompromissbereitschaft und die Fähigkeit Grenzen zu setzen, Grenzen zu öffnen und Grenzen anzuerkennen, sind wichtige Aspekte einer gelingenden Beziehung.

In der Beratung war somit ein zentraler Aspekt, durch Selbstreflexion und durch das Bewusstmachen, den eigenen Bedürfnissen von Frau B. Raum zu geben. Weiter befassten wir uns mit der Analyse ihrer Verhaltensmuster, ihrer grundsätzlichen Überzeugungen und Erwartungen, sowie diese in Bezug auf Beziehungen.

Wir stellten uns die Frage, was Frau B. konkret über sich denkt; als Mensch, als Frau. Welchen Wert gibt sie sich und was bedeutet das für sie? Gibt es Menschen in ihrem Umfeld, die sie beeindrucken und wenn ja, aus welchem Grund. Was haben diese Menschen oder was tun diese Menschen, was auf Frau B. so beeindruckend wirkt?

Im dritten Teil der Blog-Serie widmen wir uns der Selbstfürsorge. Denn nur wenn wir uns um die eigenen Bedürfnisse kümmern, haben wir die Ressourcen uns auch um andere zu kümmern.


Barbara Liechti GmbH
Barbara Liechti

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