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Loslassen: bewerten und vergleichen

Veröffentlicht am 22. April 2021

Autorin: Claudine Birbaum

Oft bilden wir uns ein Urteil über andere Menschen, bewerten sie und vergleichen uns mit ihnen. Warum üben wir uns stattdessen nicht in Gelassenheit?

Vergleichen macht unglücklich

Ich bin frohgelaunt. Freitagmorgen. Ich freue mich auf ein schönes, entspanntes Wochenende. Ich ziehe mein neues Kleid an, schminke mich dezent und trete frohgelaunt aus der Haustüre. Gleichzeitig mit meiner Nachbarin. Wir schauen uns kurz an, sie lächelt. Ich stelle fest, dass auch sie ein neues Kleid trägt. Das Rosa steht ihr ausgezeichnet und bringt ihre gebräunte Haut zur Geltung. Ich nehme ihren wohlgeformten Körper zur Kenntnis. Sie hat die Rundungen an der richtigen Stelle, wie ich nicht ohne Neid feststelle. Behände läuft sie an mir vorbei in die Tiefgarage. Ich weiss, dass dort ihr neues Auto steht – ein Cabriolet – an dessen Steuer sie sich gleich setzen wird. Ich hingegen werde den öffentlichen Bus benutzen. Sie ist eine erfolgreiche Unternehmerin und alles scheint ihr zuzufallen – auch ihr neuer Partner, der äusserst attraktiv ist und ihr zu Füssen zu liegen scheint. Sogleich fühle ich mich schlecht, unbedeutend und meine gute Laune ist verflogen. Ich besitze kein Auto, nicht die weiblichen Rundungen an den richtigen Stellen – von einem Partner ganz zu schweigen. Ich vergleiche mich mit meiner Nachbarin – und mache mich so in Sekunden unglücklich. Ich versetze mich selbst in eine miese Stimmung, die mich nun wohl den ganzen Tag begleiten wird und womöglich auch mein Wochenende ruiniert. Wie konnte das geschehen? Indem ich mich nicht nur verglich, sondern die andere Frau auch bewertete. Kennst du solche Situationen?

Werte im Aussen

Wenn ich selbstbewusst bin und mit mir selbst im Reinen, dann passiert mir solches nicht. Warum? Weil ich mich nicht an den Werten der anderen – an den äusseren Werten – zu orientieren brauche. Was weiss ich schon über meine Nachbarin? Vielleicht ist sie unglücklich in ihrem Job, weil sie unter viel Stress steht und schon lange keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit erkennen kann. Womöglich leidet sie dadurch unter Schlafproblemen und wer weiss, ob ihr neuer Partner auch wirklich ihr Seelenpartner ist oder nur als Lückenbüsser für ihr unerfülltes Leben herhält. Doch das alles fiel mir an diesem Morgen nicht ein. Ich spielte – unbewusst – die Rolle der Bewerterin. Ich hatte mich an den äusseren Werten orientiert, die in unserer Gesellschaft immer noch vorherrschen – und uns von der Werbung auch ohne Unterlass suggeriert werden: mein Haus, mein Auto, mein Partner, mein Aussehen. Diese Liste lässt sich beliebig erweitern. Viele von uns sind ständig daran, diesen Idealen nachzurennen, die – Hand aufs Herz – für die meisten so nicht erreichbar sind. Und womöglich auch nicht erstrebenswert. Warum also orientiere ich mich nicht lieber an meinen inneren Werten und schaue dort, dass ich mir selbst treu bleibe? Warum frage ich mich nicht einfach selbst, was mir wichtig ist, was meine Seele will und was mein Herz höherschlagen lässt? Womöglich haben diese Dinge und Taten dann nichts mit den materiellen Sachen gemeinsam, die ich bei anderen Menschen wahrnehme. Wenn ich ehrlich bin, bin ich womöglich gar nicht traurig, sondern glücklich, dass ich meinen eigenen Weg gehe – den Weg, der für mich persönlich stimmt.

Bewerten macht unglücklich

Ich gehe spazieren, geniesse die Frühlingssonne und den ersten warmen Wind des neuen Jahres, der über mein Gesicht streicht. Da erblicke ich vor mir eine andere Spaziergängerin mit einem Hund. Beide sind übergewichtig. Schon fährt mir durch den Kopf: Weiss sie denn nichts über gesunde Ernährung? In unserer heutigen Zeit: unverständlich. Innerlich schüttle ich den Kopf. Doch dann ermahne ich mich sofort und sage: Halt! Was habe ich da gerade getan? Ich habe eine mir fremde Person ob ihres Aussehens bewertet, ohne die Hintergründe zu kennen, die sie in diese Situation bzw. in diesen Zustand gebracht haben. Vielleicht leidet sie ja unter einer unheilbaren Krankheit. Oder sie hat einen herben Verlust in ihrem Leben hinnehmen müssen und hat mit süssem Essen die seelischen Wunden zu heilen versucht. Warum masse ich mir überhaupt an, diese fremde Frau zu bewerten? Wenn ich das tue, dann stelle ich mich unbewusst über sie. Ich gebe mir das Gefühl, ich sei besser als sie und hätte mein Leben besser im Griff. Wie lange hält dieses gute Gefühl an – wohl nur für kurze Zeit.

Toleranz, Mitgefühl und Offenheit

Warum ich dieses Beispiel hier aufbringe? Weil wir (zu) oft in diese Bewertungen gehen. Jede Person hat ihren freien Willen. Jede Person ist selbst verantwortlich für ihr Leben. Ja, es gehört Gelassenheit dazu, die Mitmenschen so sein zu lassen, wie sie eben sind. Sie nicht zu bewerten, nicht verbessern zu wollen, sondern einfach nur zur Kenntnis nehmen, was sie tun – oder auch nicht tun. Punkt. Keine Bewertung, nur eine Feststellung der Tatsachen. Wenn ich den Punkt meines Lebens erreicht habe, an dem ich niemanden mehr bewerte – auch wenn er noch so weit weg ist von meinem derzeitigen Standpunkt – dann erfahre ich neue Lebensqualität. Ich kann meinen Ärger loslassen über diese Person und einfach gelassen beobachten, was sie gerade tut. Ich erinnere mich immer wieder daran, dass wir alle wertvolle Geschöpfe sind, die hier miteinander auf der Erde leben. Toleranz, Mitgefühl und Offenheit für andere sind Werte, die wir gut daran tun, wieder in unser Leben zu bitten. Am besten gleich.

Edition Birbaum
Claudine Birbaum

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