Weniger Urteil – mehr Neugier – mehr Entwicklung - womenbiz

Weniger Urteil – mehr Neugier – mehr Entwicklung

Veröffentlicht am 16. Juni 2023

Autorin: Eliane Heinzer

Urteilen gehört zum Menschsein. Den ganzen Tag und in Bruchteilen von Sekunden urteilt unser Gehirn darüber, ob etwas gefährlich oder ungefährlich, hilfreich oder nutzlos ist. Es beurteilt, ob das, was wir wahrnehmen in unsere Denkmuster passt oder nicht. Passt es nicht, wird es abgewehrt, aussortiert und als störend empfunden. Das passiert nicht willentlich, sondern automatisch.

Unser Urteil kann sich auf uns selbst, auf andere Menschen und Meinungen, auf Situationen, Weltanschauungen, Lebensstile, Ideen, Veränderungen, Aussehen usw. beziehen. Ein schnelles Urteil kann überlebenswichtig sein, wenn ich entscheiden muss, ob eine Situation bedrohlich ist oder nicht, ob eine Person oder eine krabbelnde Riesenspinne eine Gefahr darstellt, ob ich mich wehren oder doch lieber weglaufen soll. Gleichzeitig geben Urteile auch Orientierung und Sicherheit, indem das Gehirn auf Muster zurückgreift, die als sicher, gut und richtig gespeichert sind.

Unsere Urteile basieren auf bestimmten Erfahrungen, Vorstellungen und Meinungen. Ob ich das Kleid meiner Freundin schön oder hässlich finde, ist eigentlich völlig irrelevant und im Grunde könnte ich mich einfach darüber freuen, dass sie sich darin gefällt. Oder die Idee, die da neulich in der Teamsitzung rumgegeisterte. Sie wurde von zwei Kollegen sofort als schlecht und unbrauchbar abgetan. Oder die Veränderung, die in der Firma für so viel Aufregung sorgt: Wie oft wird Neues zunächst mit Abwehr aufgenommen, werden negative Urteile gefällt, ohne sich mit der Veränderung überhaupt zu befassen? Wenn wir uns immer nur auf unsere persönlichen Urteile verlassen, grenzen wir uns von anderen Menschen und ihren Ideen ab, bleiben in unseren eigenen Vorstellungen gefangen und weigern uns möglicherweise, alternative Perspektiven in Betracht zu ziehen.

Urteile halten uns gefangen

Wenn es sich nicht um lebensbedrohliche oder krisenhafte Situationen handelt, die eine schnelle Reaktion erfordern, sind Urteile eher hemmend, da sie oft auf begrenzten Informationen und Erfahrungen beruhen. Wir wissen zum Beispiel selten im Voraus, wie sich etwas entwickeln wird. Die neue Chefin, die sich in der Sitzung vorgestellt hat, war vielleicht für meinen Geschmack sehr forsch. Ist sie deshalb eine schlechte Vorgesetzte? Die Idee meines Bürokollegen klingt vielleicht tatsächlich abstrus, aber warum nicht mal darüber nachdenken und ein paar gewagte Szenarien diskutieren?

Urteilen hält uns in den gewohnten Denkmustern gefangen. Wir lassen nicht zu, dass Unbekanntes unser Leben bereichert, wenn wir es sofort als unpassend, falsch oder schlecht abtun. Wir verhindern auch, dass kreative Prozesse in Gang kommen, wenn wir vom Tisch wischen, was uns undenkbar erscheint und wir nähren damit einen Geist, der in den immer gleichen Bahnen denkt.

In gefährlichen, lebensbedrohlichen Momenten reagiert unser Gehirn reflexartig noch bevor wir erkennen, dass die vermeintliche Schlange nur ein Stück Seil ist, das am Boden liegt. In Alltagssituationen können wir uns von vorschnellen Urteilen distanzieren. Wir können bewusst mit unserem Denken offenbleiben, flexibel und neugierig sein und uns auf etwas einlassen. Und nicht zu vergessen: Wir können immer Fragen stellen und zuhören, statt nur zu urteilen.

Statt die Idee des Bürokollegen einfach als unbrauchbar abzutun, können wir fragen: «Was gefällt dir besonders an dieser neuen Idee? Wo siehst du die Vorteile? Hast du schon konkrete Pläne für die Umsetzung? Welche Auswirkungen hätte das für die Zusammenarbeit? Welche Schwierigkeiten könnten deine Idee gefährden?» usw.

Das eigene Denken beobachten

Die Tatsache, dass wir eine Meinung oder einen Gedanken haben, bedeutet an sich noch nicht, dass diese Meinung oder dieser Gedanke wahr ist. Für unsere persönliche Entwicklung können wir uns daher immer wieder fragen: In welchen Zusammenhängen ertappe ich mich bei vorschnellen Urteilen? Wie sehen diese aus? Welche Urteile sind automatisiert und in Stein gemeisselt, ohne dass ich abweichende Sichtweisen überhaupt in Betracht ziehe? Wo bin ich bereit, über andere Perspektiven nachzudenken? Welche Urteile sind überflüssig?

Diese Art von Achtsamkeit uns selbst und unseren Denkmustern gegenüber erfordert die Bereitschaft, uns unsicher zu fühlen und NICHT zu wissen. Indem wir versuchen, offen zu bleiben und uns gleichzeitig unserer eigenen Urteile bewusst sind, können wir uns für andere Perspektiven öffnen. Auf diese Weise können wir uns weiterentwickeln und unser Verständnis der Welt erweitern:

  • Wir entdecken Ideen und Denkweisen, die uns bisher fremd waren.
  • Wir erkennen eine Seite in einer Situation, die wir vorher nicht wahrgenommen haben.
  • Wir nehmen die vielen Abstufungen zwischen Schwarz und Weiss wahr.
  • Wir erkennen Mehrdeutigkeiten und lernen, sie auszuhalten.
  • Wir entwickeln mehr Mitgefühl und Verständnis für andere Menschen.
  • Wir werden persönlich mutiger und selbstbewusster, wenn wir alte Meinungen und Denkmuster in Frage stellen, vielleicht loslassen oder erweitern können.
  • Unser Horizont erweitert sich.
  • Wir haben weniger Angst, weil wir Nicht-Wissen aushalten und sogar dazu stehen können.
  • Wir sind spannende Gesprächs- und DiskussionspartnerInnen und nicht einfach nur BesserwisserInnen.

Eine Kultur der Offenheit schaffen

Wenn ich mit Führungskräften oder in meinen Teamtrainings über Werte spreche, werden Respekt und Toleranz fast immer als erstes genannt. Das ist etwas, was sich alle wünschen. Dass diese Haltung aber nicht nur eingefordert, sondern auch aktiv gelebt werden muss, ist vielen nicht wirklich bewusst.

In einer Kultur des Respekts und der Toleranz, in der wir keine vorschnellen Urteile fürchten müssen, fühlen wir uns sicher. Wir fühlen uns angenommen in der Art, wie wir sind. Vielfalt und Unterschiedlichkeit haben hier ebenso Platz, wie ungewöhnliche Ideen und mutige Meinungen. Das ist die beste Voraussetzung für Kreativität, für Entwicklung, für Lernen und ist grundlegend für die psychologische Sicherheit in Organisationen.

Mit einfachen Massnahmen können wir an einer offenen Kultur im Arbeitsalltag arbeiten. Damit bewegen wir uns weg von festgefahrenen Urteilen hin zu Entwicklung, Grösse und Innovation. Wenn das Thema Urteile in deiner Organisation viel Raum einnimmt und es schwierig ist, neue Ideen und Veränderungen voranzubringen, unterstütze ich dich gerne und zeige dir Wege auf, wie du eine neue Kultur initiieren kannst.


Eliane Heinzer

Telefon: 076 434 21 17
Mail: info@eliane-heinzer.ch
Webseite: eliane-heinzer.ch

LinkedIn

Weitere Blogs