Was haben Schmerz und Resilienz gemeinsam?
Persönliches Wachstum und Resilienz entstehen inmitten von Konflikten und Schmerz. Wie reagierst du, wenn alles zusammenzubrechen scheint?
Autorin: Sylvie-Sophie Schindler
Das «Wir» ist eine schöne Sache. Es ist wie ein Ort, an dem wir Menschen uns aufgehoben, gemocht, ja geliebt fühlen können. Ein Ort, an dem wir Interaktion und Kooperation stattfinden lassen. Ein Ort, der uns befreit von dem bisweilen bedrückenden Gefühl des Allein- und Verlassenseins. Und als eben dieses Versprechen wird das «Wir», das ein «Ich» und ein «Du» verbindet, gelebt. Eine soziale Verabredung. Die sich auch poetisch fassen lässt, wie es beispielsweise der Religionsphilosoph Martin Buber tut. Ihm zufolge ermöglicht erst das «Du» dem «Ich», sich zu verkörpern: «Sein Leib steigt aus der Flut der raum- und zeitlosen Gegenwart an das Ufer des Bestands.» Anders gesagt: In einem «Du», durch das unser «Ich» zum «Wir» wird, finden wir also Halt in der Welt, bekommen wir festen Boden unter den Füssen.
Ohne das «Wir» geht in Unternehmen nichts. Es stabilisiert und verbindet das, was sonst lose und isoliert wäre und schafft eine tragfähige Ebene, auf der man gemeinsame Ziele verfolgt und Visionen verwirklicht sowie gleichsam Probleme bewältigt, sich Herausforderungen stellt und Krisen durchsteht. Keine Zone für Einzelkämpfer. Ohnehin lässt sich fragen, ob das Konzept des Individualismus vielleicht nichts weiter ist als eine Illusion. Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen und auf andere angewiesen; Zusammenleben heisst auch Abhängigkeit und bezogen sein. Um in Kontakt zu treten, verwenden wir das Mittel der Sprache – die wohl offensichtlichste Erscheinungsform des «Wir».
Doch «Wir» ist nicht gleich «Wir». Es kann zig unterschiedlich geartete Gruppen meinen, angefangen von der Familie über die Gesellschaft bis hin zur ganzen Menschheit. Je weniger Mitglieder es hat, desto klarer ist es zu greifen, während es sich in der Masse verliert und diffus bis farblos werden kann. Es gibt Anordnungen von «Wir», die streng hierarchisch strukturiert sind und auf Kontrolle und Lenkung basieren. Dem entgegen steht ein Wir, das fluide ist und sich selbstverantwortlich organisiert, innerhalb eines frei florierenden Raumes.
Nun die Frage an dich: Welches ist das «Wir», das du in deinem Unternehmen verwirklichst?
Weisst du genau, von welchem «Wir» du sprichst? Wie deutlich ist dieses «Wir» umrissen? Was verlangst du von diesem «Wir»? Wie würdest du es charakterisieren? Welche Möglichkeiten stecken in diesem «Wir»? Welche Schwachstellen offenbart es? Wieviel Nähe ist darin möglich, wieviel Distanz verträgt es? Dient oder belastet es den Zusammenhalt? Ist es tatsächlich das «Wir», das zu deinem Unternehmen passt? Oder schwebt dir längst ein ganz anderes vor?
Nimm dir Zeit, darüber in ein Nachdenken zu kommen. Fange bei den Begriffen an, wie es in der Philosophie gang und gäbe ist. Präzise Definitionen sind unabdingbar, wenn man ernsthaft geistig tätig sein will. Denn oft ist es so: Auch wenn wir glauben, wir wüssten ganz genau, was wir mit einem Begriff meinen, so stellt sich bei näherer Betrachtung nicht selten heraus, dass wir ihn nur oberflächlich verwenden oder ihn gar nicht selbst, sondern von anderen definieren lassen. Im schlimmsten Fall ist der von uns verwendete Begriff ein entleerter Begriff, ohne jede Bedeutung.
Zuallererst geht es also darum, herauszufinden, in welchem Sinn du das «Wir» verwendest. Das ist auch deshalb wichtig, weil ein «Wir» auch seine Fallstricke hat und man die kennen muss, um nicht darüber zu stolpern. So verheissungsvoll ein «Wir» auch daherkommt, so kann es auch schnell zu einer Vokabel werden, um andere zu manipulieren. Ein «Wir» lässt sich für eigene Zwecke instrumentalisieren. Auch Machtinteressen können hinter einem schmeichlerisch klingenden Wir versteckt werden. Meist geschieht das unbewusst, auch deshalb, weil das «Wir» ohnehin vielerorts manipulativ eingesetzt wird und man sich längst daran gewöhnt hat; man denke nur an die Politik.
Das Team sollte sich nicht gezwungen fühlen, bei einem «Wir» dabei zu sein, das nichts mit ihm zu tun hat. Das «Wir» entfaltet seine Kraft nur dann, wenn sich alle frei an dieses «Wir» anbinden, etwa weil es sie inspiriert, weil es sich gut anfühlt, weil man von ihm überzeugt ist. Besteht keine Klarheit darüber, wie alle Beteiligten das «Wir» einordnen, wäre das ein idealer Anlass, eine Umfrage durchzuführen. Noch besser: Probiere einfach mal eine philosophische Debatte darüber aus. Keine Sorge, das geht auch ohne Vorerfahrung, es braucht vor allem die Bereitschaft, neugierig aufeinander zu sein, dem Denken freien Lauf zu lassen und zugleich genau und präzise in den Denkbewegungen zu sein.
Dazu abschliessend eine Anregung von dem französischen Philosophen Jacques Derrida, der wie folgt über das «Wir» nachdachte: «Ich würde ein «Wir» als annehmbar bezeichnen, das aus Unterbrechungen besteht, ein «Wir», bei dem die, die «Wir» sagen, wissen, dass sie Individuen sind, die zueinander in einem Verhältnis auf Abruf stehen. «Wir» zu sagen, ist, als ob man Würfel wirft, oder als ob ein anderer eine Angel auswirft. Vielleicht steht am anderen Ende ein «Wir». «Wir» das ist ein Versprechen, eine Bitte, eine Hoffnung. Es kann auch eine Furcht sein. Wenn ich «Wir» sage, hoffe ich, dass es nicht «Wir» ist, dass man nicht in diesem «Wir» eingesperrt ist. «Wir» zu sagen, ist in gewisser Weise eine verrückte Geste, voller Hoffnung, Furcht und Verheissung.»
Sylvie-Sophie Schindler ist philosophisch ausgebildet und publiziert als Journalistin unter anderem bei der Weltwoche. Sie tritt als Keynote-Speakerin auf und bietet individuell und in Unternehmen Coachings an, auch auf der Führungsebene, die dem Denken und Tun mehr Lebendigkeit und eine neue Richtung geben.
Ihr Zugang ist unkonventionell und basiert auf diversen Philosophen, unter anderem auf Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer, zudem auf den existenzialistischen Untersuchungen Jean-Paul Sartres und Albert Camus.
Sylvie-Sophie Schindler
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