Von Bern nach Amerika an die Weltreiterspiele – Voltige
Ilona Hannich startete als 8 jährige mit Voltige – heute steht sie kurz vor dem Start an die Weltmeisterschaft. Erfahre, wie sie den Weg zur Verwirklichung ihres Traums bestreitet.
Voltigieren – Akrobatik auf dem galoppierenden Pferd.
Seit ich als Achtjährige die Sportart in einer Zeitschrift entdeckte, wusste ich: Das ist mein Traum. Das muss ich machen. Die Kombination von Turnen und Pferdesport schien perfekt für mich. Und so war es – mit dem ersten Training packte mich die Faszination fürs Voltigieren und liess mich nie wieder los.
Fünfzehn Jahre später bin ich Mitglied des Schweizer Kaders, nahm an Europa- und Weltmeisterschaften teil und konnte mich in die Top 10 der Weltrangliste vorarbeiten. Hätte man mir das damals erzählt, ich hätte es wohl kaum geglaubt. Das waren weit entfernte, fast unerreichbare Träume. Aber eben nur fast.
Wie wurden die Träume zur Realität? Wie sah der Weg dorthin aus und was steckt hinter dem Erfolg? Was bedeutet es, Karriere in einer Randsportart zu machen? Dieser Artikel soll Einblick auf meine Antworten zu diesen Fragen geben.
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„It doens’t matter how slowly you go as long as you do not stop. “ – Confucius
Meine sportliche Karriere ähnelt dem langsamen Erklimmen eines Bergs – Abstürze inbegriffen. Ich begann im Breitensport und blieb dort auch einige Jahre, bis ich als Fünfzehnjährige ins Schweizer Juniorenkader aufgenommen wurde. Es folgten einige Teilnahmen an Junioren-Europameisterschaften. Der Aufstieg in die Elite mit 18 Jahren war hart, und der Weg an die internationale Spitze langsam. Den Durchbruch in die Top 10 der Weltrangliste schaffte ich erst letztes Jahr. Und dieses Jahr ging nun mein grösster Traum in Erfüllung: ich habe mich für die Weltreiterspiele in Tryon, USA, qualifiziert. Dies sind Weltmeisterschaften aller Pferdesportarten am gleichen Ort, die nur alle 4 Jahre stattfinden. Der grösste Event, den man im Voltigieren erreichen kann.
Niederlagen und Siege
Für mich gehörten auch viele Niederlagen dazu. Diese waren ohne Frage hart. Es gab Turniere, an denen ich mich einfach nur schlecht fühlte. Situationen, die grosse Zweifel auslösten, an mir selbst, meinem Können, meinem Weg. Wenn man etwas so voller Hingabe verfolgt und alles von sich gibt, dann leidet man auch dementsprechend, wenn man scheitert. Ich lernte aber mit der Zeit, dass Fehler nichts sind, wofür man sich entschuldigen sollte. Sie passieren nun mal – und sie bringen mich weiter. Die härtesten Niederlagen waren es, die mich am meisten motivierten, noch genauer an mir zu arbeiten. Meine Fehler zeigen mir, wo meine Schwächen liegen und was ich verändern möchte. Und schlussendlich zählt nicht immer nur, wie gut du bist, wenn du gut bist – sondern auch, wie gut du bist, wenn du schlecht bist.
Die Erfolge der letzten Jahre sind eine schöne Anerkennung der jahrelangen Arbeit und eine Bestätigung für mich, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Langsam habe ich das Gefühl, dass mein Name in der Szene wirklich bekannt ist, ich bin kein No-Name mehr, sondern kämpfe um die vorderen Ränge. Es gab immer wieder Niederlagen und Zweifel, und ich glaube, ein Ankommen gibt es schlussendlich gar nicht. Hinter jedem Fortschritt und jedem erreichten Ziel steckt der Wunsch, noch besser zu werden. Mich weiterzuentwickeln. Perfektion zu erlangen. Das hört sich utopisch an, ist aber für mich der Wegweiser und das innere Bild, das mich antreibt. Ich bin dankbar, den Glauben an mich nie aufgegeben zu haben, selbst als ich das Gefühl hatte, allein dazustehen.
„A genius is a person who never gives up.“ – unknown
„Success is stumbling from failure to failure with no loss of enthusiasm“ Winston S. Churchill
„Everyone has talent. What’s rare is the courage to follow it to the dark places where it leads“ Erica Jong
If you can dream it, you can do it
Dieser Spruch hängt über meinem Bett und wurde für mich von einer motivierenden Redewendung zur Tatsache. Was mein Weg mich lehrte ist, dass man seine Träume erreichen kann, egal wie weit entfernt sie scheinen.
Ich war lange im Breitensport, nicht von Beginn an ein „Überflieger“. Ich habe an meine Träume geglaubt, hart dafür gearbeitet, und schon so Vieles erreicht. Es ist mir wichtig, das anderen mitzugeben. Niemand sollte an sich und seinen Träumen zweifeln. Sondern einfach fragen: „Wie?“ und bereit sein, die nötige Zeit und Energie dafür zu investieren. Harte Arbeit gehört dazu.
Wird es mit der Zeit einfacher?
Ich hatte lange das Gefühl, dass es einfacher wird, wenn man an der internationalen Spitze anerkannt ist. Man hat doch oft das Gefühl: „Wenn ich dieses Ziel erreicht habe, ist alles gut.“ Doch ehrlich gesagt, die Bedingungen werden nicht einfacher. Je besser man wird, umso grösser werden die Ziele. Umso grösser wird die Beobachtung. Der Druck bleibt.
Was jedoch ebenfalls zunimmt, ist die innere Sicherheit, die Erfahrung, die mentale Stärke. So wurde es doch auch irgendwie leichter: ich stehe heute mehr hinter mir als früher. Ich gewann an Selbstvertrauen und Unabhängigkeit: mit der Zeit kennt man seine Stärken und man lernt, auf unvorhergesehene Situationen gut zu reagieren. Diese kommen im Voltigieren doch ab und zu vor, da Pferde auch mal Angst haben können und zum Beispiel schneller als gewohnt galoppieren.
Konkurrenz
Ich selbst bin ein Mensch, der nicht gern im direkten Wettstreit mit anderen steht. Ich mag Konflikte und Neid überhaupt nicht. Schon deshalb bin ich erleichtert, keine Sportart zu machen, in der man dem Gegner face-to-face entgegentritt. Im Voltigieren kann ich einfach meine Show zeigen, kann das tun, was ich liebe. Ich muss nicht gegen jemanden arbeiten, sondern für mich, für das Publikum, mit dem Pferd und mit dem Longenführer. Ich betrachte die anderen eher als Mitstreiterinnen, nicht Gegnerinnen und ich geniesse es, Voltigieren auf höchstem Niveau zu sehen. Ich sehe keinen Sinn darin, anderen Schlechtes zu wünschen.
Doch natürlich ist man im Sport mit Vergleichen konfrontiert. Man wird von Richtern bewertet, es gibt Ranglisten und Konkurrenz – denn für die Qualifikationen muss man besser sein als andere. Das war und ist immer wieder schwierig für mich, aber auch eine spannende Aufgabe. Wo ist es nicht so? Menschen vergleichen sich ständig, haben mit Neid und Bewertungen zu kämpfen. Ich versuche, andere als Ansporn und Inspiration zu sehen, aber mich in erster Linie an mir selbst zu messen – denn was andere tun, kann ich nicht beeinflussen, aber mich und meine Vorbereitung schon.
Letztendlich muss ich mich immer wieder daran erinnern, dass Noten und Ränge nicht das Bedeutende am Sport sind. Wenn jemand aus dem Publikum bei meiner Vorführung Gänsehaut und Tränen in den Augen hatte, so ist das für mich eine Rückmeldung, die länger in Erinnerung bleibt als eine gute Note. Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich merke, dass der Funke zum Publikum überspringt. Das ist mir wichtig: Ich möchte auch etwas zurückgeben und nicht nur gute Ergebnisse erzielen.
Training und Turniere
Turniere und Erfolge, darauf arbeite ich hin. Sie sind Ziele, Motivatoren und schöne Erlebnisse. Ich brauche das Publikum, um zur Höchstleistung aufzulaufen und ich liebe es, zeigen zu können, wofür ich arbeite. Und doch bin ich nach jedem Turnier wieder froh, nach Hause in die „stille Kammer“ zurückzukehren, wo ich weiter an mir arbeiten kann.
In meinem Training steckt sehr viel Selbstinitiative. Kein Physiotherapeut, der mich im Training und an Turniere begleitet. Keiner, der mich zum Joggen oder zu Extrastunden zwingt. Das mache ich selbst – und so nehme ich oft nicht nur die Rolle der Athletin, sondern auch gleich die des Coachs und Trainers mit ein. Was nicht immer einfach ist, mich aber Vieles lehrt. Ich bin schlussendlich selbst verantwortlich für meine Fortschritte.
Maya Angelou sagte „Der Moment des Sieges ist viel zu kurz, um allein dafür zu leben“. So ist es. Ein Sieg geht so schnell vorbei, man kommt nach Hause, und alles ist wie vorher. Da ist es besser, wenn man die Arbeit zu Hause auch liebt. Und so ist es für mich: Ich liebe meinen Trainingsalltag, und ich freue mich auf jedes einzelne Training.
Karriere?
Kann man bei einer Randsportart wie dem Voltigieren überhaupt von Karriere sprechen?
Nicht wirklich, denn Fakt ist: Ich verdiene kein Geld mit dem Voltigieren. Preisgelder sind selten, und wenn sie es gibt, können sie die Kosten nicht ansatzweise decken. Dennoch ist der Aufwand ähnlich wie der von bezahlten Sportlern.
So machen fast alle Voltigierer nebst dem Sport eine Ausbildung oder arbeiten. So ist es auch bei mir: Ich schloss das Gymnasium ab und studiere nun Psychologie. Ich habe mein Leben zwar nach dem Voltigieren ausgerichtet und passe mein Studium dem Trainingsplan an. Mit mindestens 20-25 Stunden Training pro Woche bleibt aber kaum Zeit, nebst dem Studium noch zu arbeiten. Da wäre es manchmal schon schön, ein Entgelt für den Sport zu bekommen. Eine Ausbildung, ein Papier, springt dabei ja auch nicht raus. Nichts, das man so einfach messen und in den Lebenslauf schreiben kann. Aber ich bin überzeugt davon, dass das Voltigieren mich in unvergleichlicher Art für das Leben und den Berufsalltag schult: Disziplin, Effizienz, Stressmanagement, mentale Stärke, sicheres Auftreten, Teamarbeit, Motivation, Gewissenhaftigkeit und Mut sind nur einige Fähigkeiten, die das Voltigieren in mir wohl mehr als alles andere gefördert hat.
Im Voltigieren ist Leidenschaft wichtiger als Geld oder Ruhm; denn diese Dinge wird man dort nicht finden. Das macht die Sportart auch aus: sie ist bescheiden und voller gegenseitiger Unterstützung. Es ist zum Beispiel Gang und Gäbe, auf Pferden anderer Voltigierer mitstarten zu können. Es kam sogar mal vor, dass ein Team an einem der grössten Turniere seinem stärksten Konkurrenten eine Person „ausgeliehen“ hat, damit das andere Team den Wettkampf bestreiten konnte. Die Sportart ist auf dem Boden geblieben, voller Emotionen, Begeisterung und Echtheit. Und das möchte ich nicht missen.
„Ibelieveinyou“-Projekt
Wenn Sie die Sportart nun noch gerne „in action“ sehen möchten, finden Sie unter folgendem Link ein Video von mir im Voltigieren. Das Video ist Teil eines Crowdfunding-Projekts, mit dem ich die Reise und Vorbereitung für die Weltreiterspiele finanzieren kann. Vielleicht sind Sie ja von mir und diesem Ziel überzeugt und möchten mich auch unterstützen? Das Projekt ist eine grosse Chance für mich, einen Teil der Kosten fürs Voltigieren zu decken. Es wäre schön, hier über womenbiz noch weitere UnterstützerInnen zu finden!
Portrait
Ich bin Ilona Hannich, 23, und studiere Psychologie an der Uni Bern.
Aufgewachsen in Urtenen-Schönbühl und Bolligen, wohne ich nun in einer WG in der Stadt Bern. Hier trainiere ich auch: Ich voltigiere im Nationalen Pferdezentrum Bern, wo ich täglich mehrere Stunden im Training anzutreffen bin.
Voltigieren – Pferd und Akrobatik vereint
Voltigieren ist Akrobatik auf dem galoppierenden Pferd. Die Sportart kann im Team, Einzel und im Doppel ausgeführt werden. An einem Turnier wird eine Pflicht mit vorgeschriebenen Übungen sowie eine Kür, die frei zusammengestellt werden kann, gezeigt. Die Programme werden zu Musik geturnt, weshalb die Sportart oft auch als „Tanz auf dem Pferderücken“ beschrieben wird. Bewertet werden Aspekte wie die Schwierigkeit, Ausführung, Gestaltung, Choreografie und Ausdruck, aber auch das Pferd.