Geschichten aus und über das Leben - womenbiz

Geschichten aus und über das Leben

Veröffentlicht am 6. September 2024

Autorin: Amélie Lustenberger

Marcel Rösch ist blind und leitet das Film- und Fototeam der Swisscom. «Wie ist das möglich?» ist oft die erste Reaktion auf diese Aussage. Rösch gibt darauf eine klare Antwort: «Geit nid, gits nid». Das ist sein Motto und mit dieser lebensbejahenden Einstellung inspiriert er als Gastreferent die Teilnehmenden des CAS Leadership & Inclusion bei Rochester-Bern. Er erzählt aus seinem Leben, seiner Ausbildung und seiner Arbeit und teilt sein Wissen zum Thema Storytelling. Seine Geschichten begeistern und motivieren Menschen, ihre Ziele zu erreichen – auch solche, die ausser Reichweite scheinen.

Frei leben: Wenn du Sicherheit willst, geh ins Gefängnis

Marcel Rösch wuchs in einem kleinen Dorf auf. Im Alter von drei Jahren verlor er durch eine Krebserkrankung sein Augenlicht. «Wenn Sie wissen wollen, wie ich sehe, erinnern Sie sich an die letzte warme Dusche als der Spiegel angelaufen war», sagt Rösch. Auf einem Auge sieht er noch ein Prozent, auf dem anderen gar nichts mehr. «Wenn ich sage nichts, dann heisst das nicht, dass es dunkel ist, sondern dass eben nichts da ist. Ungefähr so, wie Sie am Hinterkopf sehen», so Rösch.

Neben dem Sehen hat der Mensch noch vier weitere Sinne: Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Wenn Rösch morgens mit dem Zug zur Arbeit fährt, folgt er den Spuren, die er auf dem Boden spürt. Er erkennt Menschen am Klang ihrer Schuhe, an ihrem Parfüm oder an der Beschaffenheit ihrer Haut beim Händeschütteln. Übertragen auf die Geschäftswelt heisst das: «Wenn etwas nicht funktioniert, gibt es vielleicht Alternativen, die auch Chancen bieten», so Rösch.

Mit etwas Willenskraft und Organisation ist oft mehr möglich, als man denkt. Marcel Rösch lebt allein und kümmert sich auch um seinen eigenen Haushalt: «Ich lege alles immer an den gleichen Platz und benutze Aufkleber, damit ich meine Herdplatte an der richtigen Stelle drücke und nicht die heisse Platte anfasse». Er nimmt Unfälle in Kauf, um die Freiheit zu haben, selbstbestimmt und frei zu leben. Nach dem Motto: «Wenn du Sicherheit willst, geh ins Gefängnis».

Ausbildung und Arbeit – Mentoring und Digitalisierung als Türöffner

Neue Hilfsmittel eröffneten Rösch bereits in der Ausbildung Perspektiven. So gibt es beispielsweise Software, die Blinden die Inhalte auf dem Computer vorliest, so genannte Screenreader. Generell hat die Digitalisierung den Aktionsradius blinder und sehbehinderter Menschen stark erweitert. Sie können heute dank technischer Hilfsmittel viele Tätigkeiten auch am Computer und im Büro ausüben.

Rösch wurde empfohlen, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Doch er entschied sich anders und begann im Telefondienst bei der Swisscom. Mit der Zeit wurde ihm die Arbeit zu eintönig. Da trat ein wichtiger Mentor in sein Leben. Dieser rief ihn eines Tages an und fragte, ob er das Film- und Fototeam bei der Swisscom übernehmen wolle. «Zuerst dachte ich: Ist er verrückt? Aber er erklärte mir, dass es darum ginge, Leute zu führen, gute Inhalte zu finden und Themen im Management zu vertreten. Alles Dinge, die ich kann. Heute stehe ich hier als Leiter des Film- und Fototeam von Swisscom und produziere mit meinem Team rund 500 Videos und 350 Fotoshootings pro Jahr», so Rösch.

Ohne seinen Mentor wäre Rösch nicht dort, wo er heute ist. Deshalb appelliert er an Führungskräfte, ihre Rolle als Mentorin oder Mentor wahrzunehmen. Gerade in einer Führungsposition könne man viel bewirken und Menschen ermutigen, Potenziale zu entfalten, die diese selbst vielleicht gar nicht sehen. «Stillstand ist Rückschritt», sagt Rösch und fordert alle auf, in Bewegung zu bleiben, sei es durch Weiterbildung oder durch andere neue Herausforderungen, denen man sich selbst stellt.

Storytelling: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer

«In Zukunft werden Filme weniger Spass machen, weil Sie die Handlung vorhersehen können», beginnt Rösch seinen Beitrag über Storytelling. Denn Geschichten funktionieren oft nach dem gleichen Muster. Das liegt daran, dass das Gehirn faul ist und nach vorhandenen Mustern sucht. Es entscheidet in Sekundenschnelle, ob eine Information wichtig genug ist, um aufgenommen zu werden, oder nicht. Für das Marketing bedeutet dies, dass eine Geschichte so aufgebaut sein sollte, dass Menschen das Muster abspeichern und schliesslich das Produkt oder die Dienstleistung kaufen.

Das Schlüsselelement, damit Geschichten im Gedächtnis bleiben: Emotionen wecken. Nur wenn eine Information Gefühle auslöst, wird sie wahrgenommen, und Aufmerksamkeit ist heutzutage ein knappes Gut. Um das zu erreichen, sollten Content Creators ihre Zielgruppe kennen und ihre Inhalte auf sie ausrichten: «Sprechen Sie die Sprache Ihrer Zielgruppe und finden Sie heraus, was sie bewegt. Lassen Sie sich nicht von der eigenen Sichtweise blenden – die Geschichte muss nicht Ihnen gefallen, sondern der Zielgruppe. Nach dem Motto: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer», so Rösch.

Folgende Elemente helfen, eine Geschichte emotional zu gestalten: Ein Held oder eine Heldin, mit dem sich die Zielgruppe identifizieren kann. Figuren, die den Helden oder die Heldin unterstützen oder bekämpfen. Eine Entwicklung, die der Held durchmacht. Eine Kernaussage, die kurz und konkret ist. Eine Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende. Ein Ort, der in die Geschichte hineinzieht und ein Gegenstand, der die Geschichte trägt.

Der Ablauf folgt dann meist einer Heldenreise in sechs Schritten: Eine Ausgangssituation mit einer Hauptfigur und einem Motiv. Eine Aufgabe oder Herausforderung, die das Abenteuer einleitet. Ein Weg mit Konflikten und Alternativen. Eine Lösung, um das Ziel zu erreichen. Einen Mehrwert für die Zielgruppe und eine Handlungsaufforderung, die idealerweise mit der Kernbotschaft korrespondiert. Wer sich an diese Elemente und Struktur hält, hat schon viel für eine gute Geschichte getan!

Wir brauchen Geschichten

«Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir auch etwas dafür tun», sagt Rösch. Sein Lebensweg beweist, dass wir alle zu viel mehr fähig sind, als wir vielleicht denken. Jeder kann sich auf den Weg machen und etwas Gutes finden, dass dabei auch Fehler passieren, aus denen wir lernen können, gehört dazu. «Wir brauchen Geschichten», ergänzt Rösch – und die können wir selbst schreiben, ob im Büro zu Marketingzwecken oder mit unserem eigenen Leben.

Mehr zum CAS Leadership & Inclusion.


Rochester-Bern Executive Programs
Amélie Lustenberger

Webseite: rochester-bern.ch
Email: amelie.lustenberger@rochester-bern.ch
Telefon: +41 76 592 39 75

LinkedIn

Weitere Blogs

vor 14 Tagen

Feng Shui – Wahrheit oder Illusion?

Was ist Feng Shui? Wahrheit oder Illusion? Hole dir mit Feng Shui den wirkungsvollen Energiekick für dein Zuhause und deinen Arbeitsplatz.